„Demokratie ist schön, sie macht aber viel Arbeit“ – mit diesem Karl-Valentin-Spruch eröffnete Moderatorin Barbara Krenn (ORF) den Abend mit dem deutschen Soziologen Hartmut Rosa und dem Grazer Religionswissenschaftler Franz Winter im rappelvollen Hörsaal am Uni-Campus. Die drei Hauptveranstalter stimmten auf den prominenten Gast ein: Mit „hörenden Herzen“ haben sich kirchliche und universitäre Player, so Kathrin Karloff, Leiterin des Bildungsforums Mariatrost, „erstmals oder neu zusammengefunden“, um den „Resonanzverhältnissen“ zwischen – bedrängter – Demokratie und Religion auf den Grund zu gehen und gemeinsam den Bildungsherbst einzuläuten. Alois Kölbl, als Hochschulseelsorger das akademische Jahr der Katholischen Hochschulgemeinde eröffnend, wies auf die Wichtigkeit unterschiedlicher gesellschaftlicher Resonanzorte hin. Martin Hochegger von der “1934“-Reihe „Zukunft braucht Erinnerung“ betonte die demokratische Arbeit an offenen Diskursräumen, in denen man sich mit Blick aufs Morgen auch kirchenhistorischen Schattenseiten stellt – also ganz im Sinne von Hartmut Rosa, der „sich nicht scheut“, mit unterschiedlichsten Menschen in Kontakt zu treten, um seine Gedanken mit Verve und Selbstironie zu vermitteln.
Weg vom aggressiven Weltverhältnis!
Rosa ortete angesichts eines diffusen „Da stimmt was nicht!“, eines apokalyptischen Bedrohungsgefühls („Klima! Migranten! Wirtschaftskollaps! Russen!“), zu vieler „To-Do-Listen“ sowie eines krankhaften Wachstumsgedankens ein weit verbreitetes „Aggressionsverhältnis zur Welt“. Gerade Religion(en) könnten dieser Krisendiagnose und dem „Unverfügbarkeitsmonster“ unserer Existenz durch eine „andere Form des In-der-Welt-Seins“ abhelfen. (Bet-)Rituale sowie konsumfreie Räume wie Kirchen, Tempel und Moscheen – „es gibt in ihnen nichts zu erledigen, zu kaufen, zu verändern“, so Rosa – förderten ein „mediopassives“ Weltverhältnis, also eine gleichzeitig aktive und passive Haltung, bei der man wechselseitig andere hört, sich hörbar macht, sich berühren lässt – daraus könne etwas „Neues“ entstehen und in Anlehnung an den Philosophen Charles Taylor auf das demokratische Hinhören umgelegt werden: Denn „da draußen ist etwas, was mir etwas zu sagen haben könnte“ und ja, es kann auch die politische Stimme aus einer „anderen Partei“ sein! Eine Stimme, mit der „wir die Lebenswelt gemeinsam gestalten dürfen,“ so der in Jena und Erfurt lehrende Sozialwissenschaftler.
Religion – eine demokratische Notwendigkeit?
Dass das Verhältnis von Religion und Demokratie jedoch auch ein durchaus ambivalentes ist, führte Franz Winter in seiner anschließenden Replik vor allem aus kulturgeschichtlicher Perspektive aus: „Demokratie und Religion sind keine natürlichen Verbündeten.“ Denn, historisch betrachtet, hätten Religionen oftmals hierarchische gesellschaftliche Strukturen aktiv legitimiert und gestützt. Das, was wir heute als liberale demokratische Systeme erleben, musste sich zudem gegen die institutionalisierten Religionen durchsetzen – und hier waren oftmals äußerst heftige Widerstände zu überwinden. Religionen seien weiters mit dem Bewahren einer spezifischen inhaltlichen Botschaft verbunden, an der es sich zu orientieren gelte. Damit sei eine demokratisch legitimierte „Abstimmungsreligion“ von vorneherein ausgeschlossen, so Winter – ein Beispiel sei die Unmöglichkeit, in der Katholischen Kirche über die Frage der Trinität abzustimmen. Was unsere sich immer mehr säkulär entwickelnde moderne Gesellschaft betreffe, mahnt der Religionswissenschaftler ebenfalls zur Vorsicht: Religionen „als notwendige Ergänzung“ zu betrachten, sei insofern schwierig, als dass viele Menschen auch ohne Religion, aber mit zahlreichen anderen sinngebenden Angeboten, ein gutes Leben führen.
Preist man daher die oft autoritären, weltabgewandten und sektiererischen Schattenseiten des Glaubens sowie eine „gewisse Spannung“ zwischen Demokratie und Religion (Winter) kritisch mit ein, so wohnt Religion doch das Moment der Öffnung und der „Transformationsbereitschaft“ inne (Rosa). Einen derartigen Resonanzmoment lebte der laut einem Hörer „gut gelaunte“ Soziologe in angeregter Diskussion mit den Teilnehmenden und im Ausklang mit Sturm & Maroni authentisch vor. Kirche kann also Räume öffnen und zu einer neuen, positiven Zukunftserzählung weisen. Back to the Future!